
Ob es ehrenlos sei, die Geburtstagskarte an eine Schulkameradin „mit“ ChatGPT zu schreiben, ihr würde einfach nichts einfallen. Ich sage „nein“ und sie könne auch einen der Danke-Generatoren oder der Freundschaftstexte-Generatoren im Netz einmal ausprobieren, vielleicht seien die ja noch besser.
Ich merke selbst erst ein paar Tage später, was meine Tochter mich eigentlich gefragt hat.
Sie hat von der Maschine gesprochen, der sie sich nicht entziehen kann. Sie ist 15. Sie merkt, dass da irgendetwas nicht richtig läuft. Sie kennt keine Welt ohne unmittelbare Zugriff auf die Maschine. Jetzt schreibt, rechnet, denkt und gestaltet die Maschine für sie und sie ist immer da.
Es gab einen Moment, da dachte ich „Wow“.
Es war, als ich ihre pro und contra Argumente zum Thema „Tablets an Schulen“ sah, das toll transkribierte Referat über Peru auf spanisch, den Text „Diversity an me“ für Englisch.
Dann bemerkte ich, dass es nicht von ihr war, sondern aus der Maschine kam. Wir beide waren traurig. Inzwischen kommt zu der Traurigkeit das Misstrauen. Sehe ich etwas, was gut läuft, ein kurzer Text oder eine Matheaufgabe, dann bin ich skeptisch, eine Zeichnung, die sie gemalt hat. Ein Tanz, den sie eingeübt hat, ein Gedicht, dass sie geschrieben hat.
Was davon ist von ihr? Was hat die Maschine choreografiert?
Zu dem Misstrauen kommt Unsicherheit, eine Ahnung, dass das alles nicht gut ist, dass es zu Abhängigkeit führt und dass es eine Welt ohne diese eine Antwort-Maschine nicht mehr geben wird.
Die wenigen Jahre von der 7. zur 10. Klasse, die Jahre, in denen die Schüler ihren Impulsen, ihrer Kreativität, ihrer eigenen Suche, ihren Ideen nachgehen könnten, werden mit der Maschine erledigt.
Kein Schüler der 10. Klasse schreibt jetzt noch einen Aufsatz, sucht etwa in seinem eigenen Kopf, ohne ChatGPT nach Argumenten pro und contra. Niemand (?!?) würde in Englisch zu dem Thema „diversity an me“ noch selbst einen Text verfassen. Alles kommt aus der Maschine. Slogans und Gestaltungsvorlagen für die Schuldemo.
Falls doch jemand etwas selbst gestaltet, löst oder schreibt, man wird ihm künftig nicht mehr glauben.
Dies ist die eigentliche Veränderung des Denkens, Fühlens und Gestaltens, die weitreichende wirtschaftliche und politische Folgen haben wird.
Die Schulen könnten umsteuern, dazu müssten sie die Tablets wieder aus den Händen der Kids zurücknehmen, die sie ihnen gaben, sie wieder in die Schulkoffer packen und zum analogen Unterricht zurückkehren müssen. Schule wäre ein Space, in dem analoges Leben und kreatives Denken trainiert würde, ein Probierraum und ein Schutzraum.
Um einen solchen Raum zu schaffen, benötigt es jedoch ein ehrliches Hinsehen, der Eltern und der Lehrerinnen und Lehrer und viel Mut.
[Die Zeichnung ist echt. Der Text sei übertrieben findet meine Tochter. ]