Eine rüstige Mitsechzigerin kehrt in ihren Heimatort zurück und schlägt der wirtschaftlich heruntergekommenen Ortgemeinde und den Bürgern vor, einen Teil ihres Vermögens zu stiften. Sie fühlt sich dem Ort verbunden und nutzt ihren Aufenthalt, um alte Freunde wiederzutreffen und die Spielplätze ihrer Kindheit und Jugend aufzusuchen. Das Dorf ist stolz auf seine „Ehrenbürgerin“ und verschafft ihr einen besonderen Empfang mit Willkommensplakaten, Aufführungen des Sportvereins und des Schulchores.
Der Bürgermeister, der Ortspfarrer und der Schulleiter sind vor Ort, als die inzwischen berühmte, da betuchte ehemalige Bürgerin eintrifft. Bürger säumen die Straßen, um sie zu sehen und sie mit ihrem Gefolge am Bahnhof zu begrüßen.
Die Vertreter des Ortes folgen ihr an einen ihrer Lieblingsorte, einer alten Scheune, Lobreden auf die einstige Bewohnerin werden geschwungen… Dann konkretisiert die Stifterin ihren Vorschlag: Sie wird der Stadt und den Bürgern direkt je 500.000 Millionen stiften, wenn die Bewohner zuvor ihren Jugendfreund töten.
Die Zuhörer sind entsetzt. Es folgt Schweigen. Die „Ehrenbürgerin“ erklärt den Dorfbewohnern, dass ihr Jugendfreund sie damals schwanger „sitzengelassen“ habe, so dass sie als junges Mädchen verarmt und geächtet den Ort verlassen musste. Mit dem Angebot kaufe sie sich Gerechtigkeit, denn sie sei inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass man sich mit Geld alles kaufen könne.
Der Bürgermeister weist den Vorschlag empört zurück und bezieht sich auf die europäischen abendländischen Werte. Er lehnt das Angebot als unmoralisch und unmenschlich ab und bekommt dafür den Beifall der Dorfgemeinschaft. Zunächst.
Die alte Dame beendet das Gespräch mit dem Satz: Ich warte.
Soweit der 1. Akt des Dramas „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahr 1956.
Die Angelegenheit scheint klar. Die Dame irrt. Für Geld kann man sich keine Gerechtigkeit kaufen. Sie wird scheitern mit diesem „Deal“. Das Dorf hat Werte und Rechtsvorschriften, dafür stehen die Vertreter der Politik und der Kirche und die Bürger.
Doch der Alltag ist entbehrungsreich und seit langem aussichtslos, sowohl im öffentlichen Bereich, als auch bei den Bürgern privat. Der Wunsch, der Misere ein Ende zu bereiten groß. Verständlich.
Der Vorschlag ist wahnwitzig. Ist er das? Schließlich widerfuhr ihr Unrecht.
Der Jugendfreund kann auf den Schutz der Polizei, des Bürgermeisters und den Schutz der Kirche vertrauen. Das ist doch klar. Ist es das?
Die Geschichte ist erdacht und künstlich zugespitzt. Diese Situationen gibt es so nicht. Stimmt das?
Zuerst veröffentlicht und verfasst für nadann… Wochenschau für Münster, publiziert am 20.11.2024